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Aus Zhuangzi (ca. 4.Jh. v. Chr.), Kap. 15:
Wer sich mit seinen starren Gedanken grossartig vorkommt, sich von der Welt absondert und sich als etwas ganz Besonderes hält, wer grosse Reden führt und zynische Urteile fällt, gebärdet sich nur hochmütig. So belieben es jene Weisen in Bergesklüften zu tun, die die Welt verurteilen und wie ein dürrer Baum vor dem Abgrund stehen.
Wer von Menschlichkeit und Pflicht, Treu und Glaube redet, sich bescheiden gibt und Verzicht leistet, ist nur um die Disziplin bemüht. So belieben es jene zu tun, die der Welt Friede bringen wollen und die Leute belehrend als Wanderprediger herumziehen.
Wer von grossen Taten redet und sich einen grossen Namen macht, die Formen zwischen Fürsten und Untertanen festlegen und richtigstellen will, wer da Vorgesetzter und wer Untergebener sein soll, der macht nichts als Politik. So belieben es jene an den Höfen zu tun, die ihre Herren ehren und ihren Staat stärken wollen und sich darum bemühen, dass andere Staaten annektiert werden.
Wer sich ins Ried und an Weiher zurückzieht, in einsamen Weiten weilt, nach Fischen angelt und sich im Müssiggang ergeht, der fröhnt nur dem Nicht-Handeln (wu-wei). So belieben es jene Müssiggänger zu tun, die sich an Flussufer und Meerbuchten in die Abgeschiedenheit zurückziehen.
Wer schnaubend und pustend atmet, die alte Luft ausstösst und die neue einsaugt, sich reckt wie ein Bär und sich streckt wie ein Vogel, der will ein langes Leben erreichen. So belieben es jene Atemkünstler und Gymnastiker zu tun, die ein Alter des Pengzu erreichen wollen.
Aber ohne starre Gedanken Hohes erreichen, ohne Gerede von Menschlichkleit und Pflicht Disziplin zeigen, ohne grosse Taten und Ruhm Ordnung schaffen, ohne Rückzug in die Einsamkeit seine Musse finden, ohne Gymnastik ein hohes Alter erreichen, alles vergessen und doch alles haben, sich gelassen der Unendlichkeit ergeben und dadurch alles Schöne im Gefolge haben, das ist der Weg (Tao) von Himmel und Erde, so ist die innere Kraft (Te) des Berufenen.
Aus Zhuangzi, Kap. 10:
Die Gesellen des Räubers Zhi fragten ihn einmal: »Haben Räuber auch ein Tao?«
Zhi antwortete: »Wie sollte es sein, dass sie kein Tao hätten? Dass sie das Gespür für einen Schatz in einem Raum haben, ist ihre Berufenheit (sheng!). Dass sie als erste hineingehen, ist ihr Mut. Dass sie als letzte hinausgehen, ist ihre Pflicht. Zu wissen, ob's gelingen kann, ist ihre Weisheit. Dass sie die Beute gleichmässig teilen, ist ihre Brüderlichkeit (Menschlichkeit). Einen grossen Räuber, der diese fünf nicht beherrscht, hat es noch nie gegeben.«
Daran sehen wir, dass gute Menschen nicht auskommen ohne den Weg der Heiligen und dass der Räuber Zhi sein Handwerk nicht ausüben kann ohne den Weg der Heiligen. Nun gibt es aber in der Welt wenige gute Menschen und viele schlechte, also ist der Nutze der Heiligen in der Welt gering, ihr Schaden aber gross.
Aus Zhuangzi, Ende Kap. 8:
Was ich gut nenne, das ist nicht Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Das Gute liegt allein in meiner inneren Kraft. Was ich gut nenne, das ist nicht sogenannte Menschlichkeit und Gerechtigkeit; darin verlasse ich mich auf meine Gefühle aus meinem inneren Wesen. Was ich Verstehen nenne, das [kommt] nicht [davon her], dass ich andere anhöre, sondern dass ich nur in mich selbst horche. Was ich Klarsicht nenne, das [kommt] nicht [davon her], dass ich nach anderen schaue, sondern dass ich nur in mich selbst schaue. Wenn man nicht in sich selbst schaut, sondern nach den anderen, so kommt man nicht zu sich selbst, sondern gelangt zu den anderen hin, d.h. man gelangt dahin, was andere erreicht haben, und kommt nicht selbst dahin, was [einem gegeben ist] zu erreichen; man entspricht dem, was anderen gemäss ist, und nicht dem, was einem selbst gemäss ist. Wer dem entspricht, was anderen gemäss ist, und nicht dem, was ihm selbst gemäss ist, der mag Räuber Zhi oder Boyi* heissen, er ist in jedem Falle verwegen und falsch. Ich würde mich angesichts der Weltordnung (Tao-Te) schämen. Deshalb erdreiste ich mich nach oben hin nicht, es mit der Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu halten, und wage nach unten hin nicht, in verwegenes Handeln zu entgleiten.
* Boyi und sein Bruder Shuji sind Musterbeispiele von »Tugendbolden«. Boyi war ältester Sohn eines Fürsten. Der alte Fürst wollte Shuji, einen jüngeren, als Nachfolger einsetzen. Weil dies aber dem ältesten gebührte, entfoh dieser, denn ihm galt einerseits das Wort des Vaters, andererseits aber das Recht des Ältesten. In ähnlichen moralischen Verstrickungen befand sich nun Boyi, weshalb auch er den Vater verliess. Die beiden traffen sich wieder und wollen zum König Wen hingelangen, aber er war bereits gestorben und sein Sohn König Wu hatte Zhouxin, den letzten König der Shang-Dynastie, bereits überwunden. Hier konnten sie unmöglich bleiben, denn Zhouxin war zwar ein Bösewicht, aber doch König gewesen, und einen König darf man nicht absetzen. Also machten sich die beiden wieder auf die Wanderschaft, bis sie irgendwo im wilden Bergland an Hunger und Kälte starben.
Aus Laozi (Lao Tse), Spruch 13:
»Gunst und Schmach sind gleichermassen erschreckend;
es gibt kein grösseres Leid als das Selbst.«
Was heisst das: »Gunst und Schmach sind gleichermassen erschreckend«?
Gunst erhöht, Schmach erniedrigt;
sie sich zuzuziehen, ist gleichermassen erschreckend,
sie zu verlieren, ist gleichermassen erschreckend.
Was heisst das: »Es gibt kein grösseres Leid als das Selbst«?
Daher habe ich grosses Leid, weil ich ein Selbst habe.
Bringe ich es dahin, dass ich kein Selbst habe, welches Leid habe ich noch?
Wer daher sich selbst als die Welt schätzt,
dem mag man wohl die Welt übergeben.
Wer sich selbst als die Welt liebt,
dem mag man wohl die Welt anvertrauen.
Laozi (Lao Tse), Spruch 48:
Wer sich der Gelehrsamkeit hingibt, mehrt täglich.
Wer sich Tao hingibt, mindert täglich.
Er mindert und mindert immerfort,
bis er zum Nicht-Handeln gelangt.
[Dann] handelt er nicht, und doch bleibt nichts ungetan.
Übernimmt er das Reich (die Welt),
so bleibt er stets ohne Geschäftigkeit.
Wer bei seiner Geschäftigkeit bleibt,
ist nicht fähig, das Reich zu übernehmen.
Die eine Öffnung »geheimes Kräftefeld«
(Li Daochun, 14. Jh.)
Die eine Öffnung 'geheimes Kräftefeld' ist ein ganz geheimer und ebenso wichtiger Angelpunkt. Sie ist nicht das Yintang (Stelle zwischen den Augenbrauen), ist nicht die Fontanelle, ist nicht der Nabel, ist nicht die Blase, sind nicht die beiden Nieren, ist nicht das, was vor den Nieren und hinter dem Nabel ist und ist nicht das, was zwischen den beiden Nieren ist. Oben reicht sie bis zum Scheitel und unten bis zu den Fersen. Wenn man sie wo auch immer in dem aus den vier Elementen (Erde, Wasser, Wind [Luft] und Feuer; G.Z.) gebildeten Körper zu finden vermeint, so ist es das nicht; aber man kann sie auch nicht ausserhalb, getrennt von diesem Körper finden. Daher haben die Eingeweihten die Menschen nur mit dem einen Wort 'Mitte' darüber unterrichtet; das ist es.
Nun will ich es euch anhand eines Gleichnisses leichter verständlich machen: Wenn sich eine Marionette mit Händen und Füssen bewegt und in jeder nur erdenklichen Art hüpft und springt, so gehen diese Bewegungen doch nicht von der Marionette selbst aus, sondern es sind die Fäden, die sie bewegt. Indessen ist oben an den Fäden ein Handgriff angebracht, der vom Puppenspieler bewegt wird.
Kennt ihr nun diesen Puppenspieler? Ihr sollt nicht weiter im Unklaren sein. Ich erkläre es euch gerade heraus. Die Marionette lässt sich vergleichen mit dem Körper, die Fäden mit dem geheimen Kräftefeld und der Puppenspieler mit dem Gebieter* vergleichen. Wenn sich der Körper mit Händen und Füssen bewegt, so gehen diese Bewegungen nicht von den Händen und Füssen selbst aus, sondern werden vom geheimen Kräftefeld dazu veranlasst. Zwar setzt sie das geheime Kräftefeld in Bewegung, aber der Gebieter ist es, der das geheime Kräftefeld veranlasst, sie in Bewegung zu setzen.
Wenn ihr diesen bewegten Handgriff erkennen könnt, was braucht ihr euch dann noch Sorgen zu machen, dass ihr die Vollkommenheit nicht erlangt?«
* In seinen »Gesprächen« sagt Li Daochun über den Gebieter: »Der Gebieter ist das ureigentliche wahrhafte so-seiende Wesen (jedes einzelnen Menschen), ist der über Äonen nicht vergängliche Urgeist.«